
Als promovierte Ökonomin und Erbin eines erfolgreichen Familienunternehmens liegt ihr das Unternehmertum in der DNA. Spät entschied sie sich für das Hotel ihrer Familie und verliebte sich dennoch direkt in die Branche. Als Vizepräsidentin des Vereins „Die Familienunternehmer" repräsentiert sie die wirtschaftlichen Interessen von 180.000 Familienunternehmen in Deutschland und wird immer mehr zum Sprachrohr der Individual-Hotellerie.
Wir haben uns über die verloren gegangene Identität gegenüber der Hotellerie, Employer Branding als Lösung für den steigenden Fachkräftemangel und den grundsätzlichen Wertewandel der kommenden Generationen unterhalten.

Der Europäische Hof Heidelberg ist ein Hotel mit langer Geschichte und Tradition. Welche Kriterien müssen erfüllt werden, um den Stellenwert als Marke und Unternehmen über so lange Jahre hinweg, auf diesem hohen Niveau halten zu können?
Das ist ein Prozess, der sich über viele Jahre entwickelt. Jede Generation trägt in ihrer aktiven Zeit einen großen Teil dazu bei, um die Marke entstehen und wachsen zu lassen. Meine Urgroßeltern haben das Haus 1906 erworben, es sehr gut geführt und das Hotel national und international bekannt gemacht. Meine Eltern haben daran sehr erfolgreich angeschlossen und den Stellenwert der Marke nochmals erhöht. Neben der hohen Qualität, einer herausragenden Dienstleistung, einem einzigartigen Ambiente und der Individualität des Hotels sind die Unternehmens- und Führungskultur sowie das Engagement und die Verlässlichkeit der Unternehmerfamilie wichtige Erfolgsfaktoren für die Markenführung. Unsere werteorientierte und emphatische Unternehmenskultur ist insbesondere für unser Employer Branding von großer Bedeutung. Schon seit Generationen gelten wir als fairer und verantwortungsvoller Arbeitgeber. Dieses Vertrauen gilt es täglich zu bestätigen und die Werte des Familienunternehmens authentisch und vorbildlich zu leben.
Sie haben BWL studiert, promoviert und waren in der freien Marktwirtschaft erfolgreich tätig. Dennoch haben Sie sich grundsätzlich für die Hotellerie entschieden. Sprechen Sie da von einer speziellen DNA in der Familie oder einer überzeugten Identität gegenüber der Branche?
Es war nicht von Anfang an klar, dass ich in das Familienunternehmen einsteige. Aufgrund der herausfordernden Situation eines 5-Sterne Hotels in einer Kleinstadt mit dem entsprechenden unternehmerischen Risiko haben meine Eltern meinem Bruder und mir empfohlen, erst einmal etwas anderes zu machen und unseren eigenen Weg zu gehen. Als mein Vater 65 wurde und eine mögliche Nachfolge anstand, wurde ein Einstieg denkbar. Ein Familienunternehmen übt häufig einen unglaublichen Sog auf Nachfolger aus. Dem konnte ich mich auf Dauer auch nicht entziehen, obwohl mich meine Eltern völlig frei entscheiden ließen. Nach dem Entschluss, es zu probieren, habe ich mich aber sofort in das Team und in die Branche verliebt. Und ja, ich würde sagen, es gibt auch etwas, dass tief in unserer Familien-DNA verankert ist: die Fähigkeit, im besten Sinne würdig und fleißig zu dienen und Menschen glücklich machen zu wollen. Dominanter jedoch: Echtes Unternehmertum. Also Verantwortung für einen Betrieb und die darin arbeitenden Menschen zu übernehmen und den Wunsch, Sinn zu stiften.
Stichwort: Identität. Welche Faktoren sind dafür verantwortlich, dass sich viele Menschen gar nicht mehr mit dieser Branche identifizieren können bzw. nicht mehr wollen?
Interessanterweise hat mir ein Gast kürzlich einen Artikel geschickt, der 1953 in einer Fachzeitung publiziert wurde, und in dem mein Urgroßvater den Fachkräftemangel in der Hotellerie analysierte. Das Thema besteht also schon lange. Dennoch ist es, auch durch Corona bedingt, so dramatisch wie nie. Es gibt branchenimmanente Erklärungen dafür, dass zunehmend weniger Menschen in der Hotellerie und Gastronomie arbeiten wollen. Dazu zählen zum Beispiel: Teilweise veraltete Führungsprinzipien und Unternehmenskulturen, Arbeitszeiten auch an Feiertagen und Wochenenden oder ein, im Vergleich zu anderen Industrien, niedrigerer Durchschnittslohn. Neben diesen strukturellen und zum Teil selbstgemachten Herausforderungen muss sich die Branche aber auch mit einem grundsätzlichen Wertewandel bei den nachfolgenden Generationen auseinandersetzen, der beispielsweise die Frage nach der Balance zwischen Arbeit und Privatleben stellt oder die Sinnstiftung der Arbeit in den Mittelpunkt rückt. Die Herausforderung für uns Hoteliers besteht nun darin, Modelle zu entwickeln, die diesen neuen Anforderungen gerecht werden und die Attraktivität der Branche steigern. Die 4-Tage-Woche, Home-Office-Möglichkeiten, Weiterbildungsangebote, angemessene Löhne und vor allem eine emphatische und wertorientierte Unternehmens- und Führungskultur zählen dazu.

Wir haben über ein kulturelles Umdenken innerhalb der Betriebe gesprochen. Warum tut sich die Hotellerie immer noch so schwer, alte Lasten aufzubrechen, um die monetären Probleme zu beheben?
Vielleicht war der Handlungsdruck in der Vergangenheit nicht stark genug. Es gab offensichtlich genügend Menschen, die gerne in der Branche arbeiten wollten. Das verändert sich jetzt massiv und das ist auch gut so. Aufgrund der Tatsache, dass viele von uns an der Grenze der Wirtschaftlichkeit arbeiten, sind wir beispielsweise nicht in der Lage, bessere Löhne zu zahlen. Die deutsche Hotellerie hat es in der Vergangenheit im Durchschnitt nicht geschafft, angemessene Preise für Zimmer und Gastronomie zu realisieren. Das Preis-Leitungsverhältnis ist in Deutschland das Beste in Europa. Mit den Konsequenzen eines selbst-initiierten Preiskampfes müssen wir jetzt leben. Das wird sich zwingend ändern müssen.
Employer Branding ist ein Lösungsansatz, um den Fachkräftemangel entgegenwirken zu können. Eine weitere Lösung liegt in der Bindung der Mitarbeiter, mittels der internen Markenführung. Hierbei steht die Identifikation von Marke und Mitarbeiter im Vordergrund. Wie überprüfen Sie, ob ihre Mitarbeiter die Philosophie des Europäischen Hofs vom ersten Tag annehmen und weitestgehend leben?
Da wir eine sehr emphatische Unternehmenskultur haben und das herzlichste 5-Sterne Stadthotel werden wollen, achten wir bereits beim Recruiting auf die Herzensbildung der Kolleginnen und Kollegen. Die Werte und das Herz werden von oben nach unten durchgereicht. Das bedeutet, wir selber, also die Familie, als auch die Führungskräfte müssen jeden Tag als Vorbild agieren und die Werte des Employer Brandings vorleben. Schließlich sehen wir jeden Tag im Verhalten der Kolleginnen und Kollegen, ob das so ist. Und wenn wir beobachten, dass diese Werte vielleicht nicht so gelebt wird, wie wir uns das gegenseitig versprochen haben, sprechen wir es am konkreten Beispiel an und ermöglichen dadurch eine Verhaltensänderung und ein Lernen. Das setzt wiederum voraus, dass wir unsere Kolleginnen und Kollegen z.B. in Feedback- und Führungskompetenzen schulen. Durch das tägliche Leben der Werte baut sich ein Kraftfeld auf, an das sich sowohl die Kolleginnen und Kollegen, aber auch die Gäste anschließen können. Die Kultur eines Unternehmens ist ein lebender Organismus, der sich tagtäglich weiterentwickelt. Jeder ist ein Teil davon.
Glauben Sie, dass eine wertebasierte interne Markenführung, neben dem Employer Branding, zum Game-Changer wird, um als Arbeitgeber und Branche wieder attraktiver zu werden?
Davon bin ich absolut überzeugt. Getragene Kultur- und Werteräume werden bestimmend für die Zukunft. Eine wertebasierte, kooperative und emphatische Unternehmenskultur und die damit verbundene Markenführung sind die entscheidenden Größen, um künftig im Markt bestehen zu können und um die Generation Y und Z zu erreichen und zu begeistern. Nicht mehr das Ego des Führenden wird im Vordergrund stehen, sondern die Interessen und Bedürfnisse der Geführten. Entscheidend ist dabei, dass sie authentisch sind und zum jeweiligen Betrieb passen. Künftige Mitarbeitende sowie Gäste oder Partner merken sofort, ob etwas glaubhaft gelebt wird oder aufgesetzt ist. Meiner Wahrnehmung nach ist aber schon jetzt einiges in Bewegung gekommen. Die Branche ist auf einem guten Weg. Und trotzdem bleibt ein transformativer Raum.
Was würden Sie einem Bewerber mitgeben, der noch unschlüssig ist, in der Hotellerie arbeiten zu wollen?
Die Hotellerie ist eine wunderbare Branche, in der kein Tag ist wie der andere und in der man in verschiedenen Bereichen für das Leben lernt und sich entwickeln kann. Neben fachlichen Aspekten finde ich vor allem die psychologischen, interkulturellen und gruppendynamischen Lernfelder extrem spannend. Nicht umsonst werden Kolleginnen und Kollegen aus der Hotellerie von anderen Branchen umworben. Auch die immer noch bestehenden großen nationalen und internationalen Karrieremöglichkeiten sind attraktiv. Für mich am wichtigsten ist und bleibt aber die Tatsache, dass man in der Hotellerie wie in kaum einer anderen Branche Menschen glücklich machen kann. Ein großes Privileg. Denn es ist erwiesen: Der beste Weg selber glücklich zu werden, ist andere glücklich zu machen. Wenn man das verstanden hat, will man die Branche nicht mehr verlassen.